Armin Chodzinski muß ins Management. Lecture/Ausstellung, HBK Braunschweig, 1998

Programmtische Lecture zum Diplom an der HBK Braunschweig:

Liest man die Stellenangebote der FAZ, der Zeit oder der Süddeutschen bin ich ein gefragter Arbeitnehmer: Noch unter 30 Jahren, alle sog. Soft Skills nenne ich mein eigen und obendrein verfüge ich Über eine Bandbreite von Erfahrungen, die weit Über jene Handwerklichkeit hinausgehen, die die BWL immer noch vermittelt.

Für Ökonomie habe ich mich immer sehr interessiert, obwohl oder gerade weil ich Kunst studiert habe. Wo wäre es sonst gelungen so viele praxisnahe Erfahrungen in den Bereichen Controlling, Consulting, Marketing, Entwicklung von Corporate Identity, Corporate Design, in Ästhetischen Frage jedweder Art, in soziologischen Analysen, psychologische Grundversorgung, Teamarbeit, Arbeitslogistik etc. zu sammeln?

Künstler und Künstlerinnen verfügen im Idealfall nach sechs Jahren Studium Über eben genauso viele Jahre an Berufserfahrung und das heißt nicht nur im Anfertigen von Bildern, Skulpturen oder sonstigem, sondern auch in der Organisation der eigenen Arbeit gemeint, aber auch die Organisation, die für Veröffentlichungen, Verhandlungen zur Realisation von Arbeiten, finanzielle Planungen usw. notwendig ist. Ein Künstler schafft ein Produkt für das es keinen Markt gibt, nicht einmal ein Bedürfnis gibt es das befriedigt werden will, sieht man einmal von dem Grundbedürfnis nach Kultur und Amüsement ab. Blickt man in der Historie zurück, so sind trotz dieser Grundbedingungen einige ökonomische Leistungen gelungen, die ihres gleichen suchen, als Beispiel: Das Portrait des Dr. Gachet von Vincent van Gogh wurde für 82 Millionen DM versteigert.

Das kunstinteressierte Management schaut voller Sehnsucht und Neid auf solche Tatsachen und versucht in vielen Veröffentlichungen der Arbeitsweise von Künstlern auf die Schliche zu kommen, versucht eine Handlungsweise zu extrahieren, die auf betriebliche Systeme anwendbar ist. Mal wird der Holzschuppen im Betrieb gefordert in der das Individuum die geniale Idee entwickelt, mal der Versuch gestartet mittels Farbfeldmalerei das Bewusstsein zu erweitern oder einfach die Forderung ausgerufen, der Manager möge doch endlich Künstler werden. Der Gedankenfehler steckt in dem mangelnden Kunstverständnis, in der immer noch vorherrschenden Idee des künstlerischen Genies und in der verletzten Eitelkeit, derer die sich die Wertsteigerung von van Gogh auch für Kugelschreiber wünschen.

Dass handwerkliche Virtuosität kein Mittel zur Beurteilung eines Kunstwerkes und seiner Qualität ist, ist der  Kunst seit der Moderne zur Tatsache geworden. Eine Ähnliche Diskussion führen zur Zeit die Zentralorgane der modernen Wirtschaftswissenschaft: Betriebswirtschaft studiert man nicht, Betriebswirtschaftler hält man sich, heisst die Losung der Wirtschaftwunderzeit, die auch heute wieder einen mutigen Unternehmergeist beschwören soll.

Auf der Suche nach dem Neuen reden sich Redakteure, Wissenschaftler und Unternehmer zusehends in Rage: das Individuum soll im Mittelpunkt stehen, motiviert sollen alle sein, die Arbeitnehmer werden zur Selbstbestimmung gezwungen, die Lagerhallen bebildert und jedes Stichwort zum Anlass für teure Seminare genommen.

Die gesellschaftliche Verantwortung von Konzernen soll ö diesmal auf sozial verträglicher Ebene ö in die Politik integriert werden. Ein Modell, das von Tony Blair in England propagiert wird und Erfolg hat, auch wenn niemand mehr so recht weiß was außer Wohlstand das Ziel dieser Position ist. Dies funktioniert weil es in dieser Zeit notwendig ist sowohl das Arbeits- als auch das Konsumverhalten zu beeinflussen, da das eine von dem anderen abhängig ist. Die plumpe Ausbeutung zum Ziele der Profitmaximierung ist definitiv vorbei, denn Vorteilsnahme bedeutet heute zuerst die Konsumenten konsumfähig zu halten, sie in soziale Gefüge zu integrieren und gemeinsame Orte zu definieren. Japanische Industriearbeiter erhielten schon vor Über 10 Jahren eine Teamkreditkarte, die das flach hierarchisch arbeitende Arbeitskollektiv verpflichtet, in regelmäßigen Abständen in Karaoke Bars, Bordellen und Kneipen das Geld des Betriebes auszugeben. Das Sony Kulturprogramm, langfristig angelegt mit verschiedenen Stufen und Phasen, verzichtet auf jedwede Kunstkäufe und setzt auf Gespräche und Förderung junger, ins Studium eingebundener Projekte. Die Bank 24, als Tochter der Deutschen Bank, kaufte in Berlin einen ganzen Studiengang, um an die Quelle des Neuen vorzudringen und somit eine Art Jungbrunnen mit Vorkaufsrecht zu schaffen. Die Entwicklung ist nachvollziehbar, denn die Kunstkäufe der achtziger Jahre produzierten nicht den erwünschten Synergieeffekt. Sie trugen zwar zur Imagebildung nach außen bei, allerdings war die Wirkung nach innen nicht sonderlich groß. Eine Frage, die sich daraus ergibt ist jene, ob der Tauschhandel zwischen Wirtschaft und Kunst dadurch schaden nimmt, wenn in der Hauptsache geredet oder junge Innovation exploitiert wird. Verliert das Werk an sich an Bedeutung? Kunst scheint als eine Art Grundlagenforschung bereits akzeptiert nur ob das Werk  oder der Künstler die Forschung trägst, darüber ist man sich zurzeit uneins. Verfolgt man die Kausalkette, so wäre es doch selbstverständlich, dass alle Arten von Forschung gefördert werden müssen, um ihre Arbeit machen zu Können, und vor dem Hintergrund scheint es doch auch sinnvoll, Künstler und Künstlerinnen mit beratender Funktion zu Rate zu ziehen. sagt Max Clement, der selbst Künstler war und nun als Personalreferent arbeitet. Hiermit einher geht natürlich auch die Überlegung, wie man sich zukünftige Förderungssysteme vorstellen soll, die nicht mehr in dem gängigen Verhältnis repräsentierfähiges Werk gegen eine durch den Markt definierte Summe funktionieren können.

Vielleicht steckt hierin der Schlüssel zur momentan wieder viel diskutierten Ortsfrage der Kunst, wobei dies sicher mehr meint als die Ausstellungshalle durch das Büro zu ersetzen. In jedem Fall lassen sich darin Ansätze finden, wie eine Kunsthochschule zu verändern wäre oder wie sie aus dieser Sicht zu beurteilen ist.

Folgt man dem vorhergehenden, so wird deutlich: Der Kunsthochschule kann in der nahen Zukunft eine große veränderte Rolle zukommen. Die verknöcherten Systeme, bei denen es natürlich immer Ausnahmen gibt, die die Regel bestätigen leisten in der Ausbildung keine Vorbereitung mehr für die Ökonomie des nächsten Jahrtausends. Das Denken der betriebswirtschaftlichen Fakultäten ist in der Hauptsache geprägt von Theorien und Rezepten und dem fatalen Irrtum der Anwendbarkeit. Denken entwickelt sich eben gerade nicht durch die reine Pragmatik, sondern vielmehr in der Möglichkeit des gemeinsamen Rumsitzens.

Gesetzt den Fall, dass das selbstmitleidige, egozentrische Heulen, dem Interssiert-Sein weicht, könnte die Kunsthochschule der Ort sein an dem sich die gesellschaftlichen Ressourcen am ehesten füllen lassen. Die Hoffnung, die Kunst immer noch in sich birgt dokumentiert sich öffentlich, jedoch mit veränderten Vorzeichen: Während in den letzten Jahrzehnten immer wieder Manager, Richter, Programmiererinnen und andere aus dem gewohnten ausstiegen, um Kunst zu machen, studieren die Manager der neunziger Jahre Kunst in der Phase der Konsolidierung des eigenen Unternehmens, geklärt von der 68er Freiheitsromantik, die dergleichen immer mit Aussteigen und auf Gomerra leben verband. Nicht nur die Biographien ändern sich, sondern auch das Bewusstsein zu dem machbaren, denn wenn es Überall eng ist, nichts mehr Sicherheit vermittelt, kann man auch alles machen, ohne neidvoll auf stringente Karrieren zu schauen – denn die gibt zum Einen kaum noch und zum anderen zeichnen sie sich durch gut geplante Langeweile aus. Unterbewusst ist klar, dass Kunst eben nicht nur für Kunst gut ist, sondern eine Grundlage bildet, eine Art zu denken, vielleicht die einzige, die in dieser Zeit der Ästhetik Überhaupt noch hilft. Und auch wenn man sich weigert das eigene Tun als Kunst zu bezeichnen, weil man mit Kunst Museen verbindet in denen man immer sofort müde wurde und deshalb das ganze eher als Repressionsmachinerie begriffen hatte, so ist es doch ein künstlerische Handeln, welches viele Dinge des Alltags heute prägt.

In der Kunsthochschule könnten also die Manager von morgen ihre Ausbildung erhalten, da dies der einzige Ort ist an dem der Umgang mit dem ästhetischen vermittelt wird. Hinderlich ist dabei allerdings, die nach außen wirkende Idee, an einer Akademie würden Künstler produziert. Zuerst werden Arbeitslose, Fliessbandarbeiten, Barkeeper, Kellner, Reiseleiter, Grafiker usw. produziert und ganz am Schluss vielleicht auch der ein oder andere Künstler. Wenn man der Aufzählung noch Taxifahrer beifügen würde, so könnte man denken es wäre das Soziologie Studium gemeint, einem Bereich, bei dem aber selbst der Erstsemestern klar ist, das sie viel werden können, aber sicher nicht Soziologen. Dies Selbstverständnis führt dazu, den eigentlichen Gegenstand der Lehre ernst zunehmen und ihn vor allem als Grundlage für vieles zu begreifen, sozusagen als Denkstruktur nutzbar zu machen. Ich kenne keinen Soziologie – Studierenden, der Soziologe werden will, aber fast ausnahmslos Kunst – Studierende, die Künstler werden wollen. Noch sind es eher wenige Professoren, die die Möglichkeiten realistisch für ihre Studierenden skizzieren, die meisten stricken an dem Mythos Berufskünstler auszubilden. natürlich ist ihnen die Aussichtslosigkeit dessen bewusst, aber trotzdem wird aus vielerlei Gründen das Nicht – Erreichen, als Scheitern stilisiert und verhindert deshalb ein Selbstbewusstsein zu dem eigenem Wissen und dessen Möglichkeiten. Aber selbst wenn das Scheitern thematisiert wird, fehlt das Aufzeigen einer Alternative.

Wo sind denn die 98% gescheiterten Künstler ich kann mir nicht vorstellen, das sie allesamt als Alkoholiker auf den Gängen des Sozialamts auf die Ungerechtigkeit der Welt schimpfen. Sicher gibt es auch viele, die eine Möglichkeit gefunden haben etwas zu tun, das sie befriedigt und zwar nicht nur finanziell, sondern vor allem auch auf Grundlage dessen was sie gelernt haben zu denken.

In den achtziger Jahren sind die Philosophen nebenbei kenne ich auch keinen Philosophie – Studierenden, der Philosoph werden will in die Unternehmensberatungen geströmt, weil Corporate Identity in Mode kam und die Philosophen für sich in Anspruch nahmen Fachleute für Ästhetik zu sein. Natürlich stimmt das nicht, denn die Fachleute für das ästhetische sind Künstler und dann erst einmal lange niemand. Allerdings verhindert das Selbstverständnis der Kunsthochschule, dass Künstler in Unternehmensberatungen wollen, dies als Möglichkeit Überhaupt in Betracht ziehen, genauso wie die Sichtweise der Unternehmensberater auf Künstler verhindert, das eine Tür Überhaupt geöffnet wird.

Das Verhältnis von Kunst und Ökonomie ist merkwürdig verspannt und geprägt von Moralvorstellungen, deren Paradoxien eine lange Tradition haben und ritualisiert in einem klaren  Vielleicht?  kulminieren.

Die Kunsthochschule sollte also ein anderes Selbstverständnis entwickeln, eines das nicht auf räumliche Expansion setzt, sondern auf eine inhaltliche Verbreiterung. Seminare zur Künstlersozialkasse oder zur Professionalisierung im Bereich Selbst-Marketing sind müde versuche, die in die falsche Richtung laufen. Aus dem Selbstbewusstsein heraus, dass Kunst vieles erst zu denken möglich gemacht hat, heisst Verbreiterung die Kunsthochschule zu einem Ideenpool der unterschiedlichsten Fachbereiche auszubilden.

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Armin Chodzinski muß ins Management. 1998

„Die lustvolle Steigerung von Komplexität“

Auf Hoerspielkritik.de veröffentlichte Jochen Meissner im Mai/2024 eine grossartige Kritik anlässlich der neuen Folgen des Conversationslexikon F wie Feierabend und V wie Verantwortung. Unbedingt lesen!

Übersichtliche Hörstücke und Interviews

Die ARD hat in ihrer Mediathek dem Conversationslexikon platz eingeräumt: Viele Folgen und ein Interview mit Dr.C. sind einfach zu erreichen und übersichtlich sortiert. Wirklich umfassend findet man viele Stücke aus dem Hause #drcallstars auf Soundcloud (www.revisionsverlag.de

Das Schweigen des Künstlers wird unterbewertet.

Die siebte Ausgabe der Backup-Hefte ist in Vorbereitung und soll Ende des Jahres erscheinen. Der Schwerpunkt wird auf Schweigen und Zeichnen liegen, wie der Arbeitstitel bereits nahe legt. Aktuelle Informationen jeweils hier.

Zur Zeit keine öffentliche Veranstaltung.